DiSko Schulungsmodul
DiSko, Strukturiertes Schulungsmodul für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 zur Bewegungssteigerung
Projektleiter: Dr. med. Wolf-Rüdiger Klare, Hegau-Bodensee-Klinikum, Radolfzell am Bodensee
Menschen mit Diabetes zu mehr Bewegung motivieren
Bewegungssteigerung ist ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Diabetestherapie. In der Schulung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 ist die Motivation und Anleitung zu mehr Bewegung jedoch bislang noch nicht flächendeckend etabliert. Hier setzt das DiSko-Schulungsmodul (Wie Diabetiker zum Sport kommen) an. Seit 2007 motiviert dieses Projekt Menschen mit Typ-2-Diabetes, mehr Bewegung und Sport in den eigenen Alltag aufzunehmen. Kern der Schulungsstunde, die in alle zugelassenen Schulungsprogramme als zusätzliche Doppelstunde eingefügt werden kann, ist ein halbstündiger, geführter Spaziergang, an dem alle Schulungsteilnehmer teilnehmen können – unabhängig von ihrer (mitunter geringen) Fitness. Vor und nach dieser Bewegungseinheit werden Blutzucker und Puls gemessen und auf einem Flipchart für die Teilnehmer sichtbar festgehalten. Die meist eindrucksvollen Änderungen dieser Parameter werden im Anschluss im Gruppengespräch bewertet.
Vorbereitete Charts ermöglichen der Schulungskraft, die Diskussion flexibel zu gestalten und Feedback der Teilnehmer einzubinden. Insbesondere wird thematisiert, wie die Patienten die Pläne zur Bewegungssteigerung im Alltag umsetzen und hierbei bekannte Hemmnisse überwinden können.
Positives Erlebnis als Initialzündung
Die Schulungseinheit endet mit der Ausstellung eines Zertifikats über die erfolgreiche Teilnahme an der Bewegungseinheit, das auch die gemessenen Werte enthält und vom Leiter der Schulung unterzeichnet ist.
Außerdem sollen die Schulungsteilnehmer je eine „Selbstverpflichtung“ ausfüllen und unterschreiben, in der sie ihre konkreten Pläne zur Bewegungssteigerung fixieren. Dieses Dokument wird ihnen 4 Wochen nach der Schulung zugeschickt.
Das Schulungsmodul ist vom Bundesversicherungsamt für das DMP Diabetes mellitus Typ 2 akkreditiert und in vielen Bundesländern in diesem Rahmen abrechenbar. Regelmäßig werden Schulungskräfte für die Durchführung und Abrechnung des DiSko-Moduls ausgebildet.
Für sein langjähriges Engagement für Menschen mit Diabetes wird Dr. med. Klare mit dem Ehrenpreis des SilverStar-Förderpreises ausgezeichnet.
Interview mit dem Preisträger
Herr Dr. Klare, wie kam Ihnen die Idee zur Entwicklung des Schulungsmoduls DiSko?
Die Idee hatten wir 2002 auf dem ADA Kongress in San Francisco. Dort wurden die Ergebnisse des Diabetes Prevention Program, DPP, vorgestellt. Dabei wurde deutlich, dass durch Lebensstilintervention, sprich Steigerung von Bewegung und Gewichtsabnahme, die Manifestation eines Diabetes bei Risikopatienten eindrucksvoll reduziert werden konnte. Die Frage war nur, wie man diese Erkenntnis in den therapeutischen Alltag überführen könnte. Da ging mir ein Licht auf: Wir müssten es schaffen, existierende Schulungsprogramme um ein Bewegungsmodul zu ergänzen.
Was waren die ersten Schritte?
Wir haben eine Projektgruppe innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport in der DDG und mit Vertretern des VDBB gegründet. In dieser Projektgruppe haben wir die Inhalte für ein solches Schulungsmodul zur Bewegung besprochen, ein Curriculum und auch entsprechende Schulungsfolien erarbeitet. Das Ganze funktioniert wie ein Baukasten, den man auch individuell verwenden kann.
Wichtig war uns, dass das Modul einen erlebnispädagogischen Wert hat. Das heißt, in dieser Schulungseinheit müssen die Teilnehmer unmittelbar am eigenen Leib erleben, wie Bewegung wirkt. Dazu wollten wir aber keine speziellen Gymnastikübungen anbieten, sondern einfach einen halbstündigen Spaziergang in der Gruppe.
Das ausgebarbeitete Modul haben wir 2003 auf der DDG-Jahrestagung in Bremen auf einer eigenen Veranstaltung vorgestellt. Das Interesse war damals riesengroß, unter Schulungskräften, Diabetesberaterinnen und auch Ärzten. Das war für uns das Zeichen, loszulegen und in Train-the-Trainer-Seminaren am Wochenende interessierte Leute auszubilden.
Wir haben das Modul mit einer kontrollierten Longitudinalstudie evaluiert, die Ergebnisse wurden 2007 publiziert. Darin haben wir über ein Jahr hinweg geprüft, ob es nach der Intervention messbare Ergebnisse gibt. Die Studie war die Voraussetzung dafür, dass unser Schulungsmodul vom Bundesversicherungsamt auch als Schulung für das DMP zugelassen wurde und auch abrechnungsfähig geworden ist.
Zwei Jahre später haben wir nochmal eine Erhebung unter 250 Schulungskräften durchgeführt und alle haben das Modul als sehr positiv bewertet.
Wie ist das Modul aufgebaut?
Jeweils am Ende der vorausgegangenen Stunde laden wir die Schulungsteilnehmer zu dem Spaziergang ein, dem Kernstück des Moduls. Dabei weisen wir darauf hin, dass wir keinen Sport machen, sondern eben einen Spaziergang, und dass jeder mitmachen kann, egal ob er fit ist oder nicht. Alle gehen im eigenen Tempo und das Einzige, was die Teilnehmer brauchen, sind bequeme Schuhe, und wenn es mal regnet, einen Regenschirm.
Vor dem Spaziergang messen wir bei jedem Blutzucker und Puls. Die Werte schreiben wir für alle sichtbar auf ein Flipchart. Dann geht’s los: Vorne läuft eine Schulungskraft oder ein Schulungsteilnehmer, der ortskundig ist, und hinten geht ein Arzt, der auf die Nachzügler achtet.
Nach 15 Minuten drehen alle um – und zwar ganz egal, wo sie sind – und gehen genau dieselbe Strecke zurück. Das ist die Garantie dafür, dass alle ungefähr gleichzeitig wieder ankommen. Mit dieser Methode kann wirklich jeder mitgehen. Und wenn manche in 15 Minuten nur 200 Meter weit kommen und wieder umdrehen, dann sind es insgesamt auch 400 Meter.
Anschließend messen wir sofort erneut den Puls und den Blutzucker und schreiben diese Werte neben die Ausgangswerte aufs Flipchart. Die notierten Werte werden dann kommentiert und besprochen.
Welches Feedback erhalten Sie von den Teilnehmern?
Die meisten Schulungsteilnehmer finden das Konzept klasse – manche sagen sogar, das war die schönste Schulungsstunde. Es ist ja auch viel schöner, etwas Positives zu erleben, als nur dazusitzen und zuzuhören.
Zu den Schulungsmaterialien gehört auch eine Selbstverpflichtung – darin legen die Teilnehmer ihre künftigen Aktivitäten und den Umfang fest. Das kann Radfahren, Wandern oder Schwimmen sein oder einfach eine bestimmte Anzahl an Schritten, die sich mit einem Schrittzähler oder einer App messen lassen. Diese Selbstverpflichtung sammeln wir ein und schicken sie den Teilnehmern vier Wochen später als Erinnerung und Verstärkung zu. Eine Kopie geht an den behandelnden Hausarzt, sodass er das Thema in der nächsten Sprechstunde ansprechen kann.
Und am Ende erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat über die erfolgreiche Teilnahme an einer Bewegungseinheit. Das wirkt zusätzlich motivierend.
Wie profitieren Menschen mit Diabetes von dem DiSko-Schulungsmodul?
Das eigene Erleben stärkt die Selbstwirksamkeitserwartung: Bei unserer Evaluation gaben die Teilnehmer an, vor dem Start des Programms 5,9 Stunden pro Woche aktiv gewesen zu sein, nachher 9,8 Stunden. Das ist also eine signifikante Veränderung. Diese Steigerung ist im Gehtest nachweisbar. Hinterher konnten im Durchschnitt alle in sechs Minuten über 500 Meter gehen, was vorher nicht der Fall war. Das Gewicht reduzierte sich um 1,5 Kilo.
Beim Spazierengehen erreichen die Allermeisten einen Puls, der ein Kreislauftraining bedeutet. Und wenn sie das regelmäßig machen, profitiert der Kreislauf, der Blutdruck sinkt und die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt sinkt ebenfalls.
Der Zucker sinkt meiner Erfahrung nach im Durchschnitt um 60 mg pro Deziliter. Je höher der Ausgangswert, umso eindrucksvoller ist der Abfall. Das ist für die Allermeisten eine sehr eindrucksvolle, positive Erkenntnis. Und das ist ja kein Einmal-Effekt. Wenn man das regelmäßig macht, sinkt der Blutzucker insgesamt und man kommt mit weniger Tabletten oder vielleicht sogar ohne Tabletten aus, mit weniger Insulin und vielleicht sogar ohne Insulin!
Sie haben mit DiSko beim SilverStar den Ehrenpreis erhalten. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung persönlich?
Ich finde es großartig, dass unser Projekt auf diese Weise gewürdigt wird. Das bestätigt uns auch darin, dass man die Schulungslandschaft verändern muss und das ist uns ja auch in einem gewissen Umfang gelungen.
Ansprechpartner Projekt
Dr. med. Wolf-Rüdiger Klare
E-Mail: wr.klare@t-online.de